Wüstenspargel

Kann Seespargel die Wüsten begrünen?

Bereits Mitte der 80-er Jahre hatten amerikanische Klimaforscher erste Konzepte entwickelt, wie man am Meer gelegene Wüstengebiete und Salzsümpfe als Ackerland einsetzen könnte, um die dort lebenden Menschen und Tiere mit Nahrung zu versorgen. An diesen in der Regel extrem trockenen und heissen Standorten steht meist nicht ausreichend Regen- oder Brunnenwasser zur Verfügung, um die angebauten Pflanzen langfristig zu bewässern. Selbst wenn Grundwasser gefördert werden kann, führt eine kontinuierliche Bewässerung der Felder meist zu einer schleichenden Versalzung der Böden.

Eine denkbare Lösung wäre es, Meerwasser in Kanalsysteme einzuleiten und darüber dann die bepflanzte Parzellen an den Küsten zu bewässern. Vorausetzung dafür sind natürlich salztolerante Pflanzen, die bei einem Salzgehalt des Meerwassers von meist 30-40 Promille noch wachsen können. Ein theoretisch sehr gut geeigneter Kandidat hierfür ist der Seespargel oder Queller Salicornia. Durch seine ausgeprägte Salztoleranz und die Anspruchslosigkeit gegenüber wenig fruchtbaren Böden, kann der Queller mit seinen verschiedenen lokalen Unterarten auch noch in den unwirtlichsten Gegenden der Erde angebaut werden.

Erste Versuche einer kommerziellen Produktion des Meeresspargels liefen bereits am Golf von Kalifornien, sowohl auf amerikanischer Seite, als auch in der Sonora-Wüste im Norden Mexikos. In dem Sonora-Projekt konnten in Bezug auf die ölreichen Samen dabei sogar Erträge erzielt werden, die noch über denen von Soja und Sonnenblumen lagen! Weitere Projekte wurden in Eritrea und den Arabischen Emiraten entwickelt.

Recht vielversprechende Testergebnisse wurden am “International Center for Biosaline Agriculture (ICBA)” in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) erzielt. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurde auf Versuchsfeldern des Institutes Salicornia bigelovii angebaut, im englischen “samphire” “saltwort” oder “sea asparagus” genannt. Die Pflanzen wurden dabei ausschliesslich mit Meerwasser bewässert, das mit Pumpen auf die Wüstenfelder gefördert wurde. Die Wachstumsergebnisse waren eindrucksvoll: innerhalb eines dreiviertel Jahres erreichten die Salicornia-Pflanzen z.T. Wuchshöhen von über 90 cm.


Biodiesel

Aus den geernteten Pflanzensamen konnte ein hochwertiges Öl gewonnen werden, das mit einem hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren und einem leicht nussigen Geschmack hervorragend für die menschliche Ernährung geeignet ist. Noch wertvoller werden die Quellersamen zusätzlich durch den hohen Proteingehalt von knapp 40 %. Das Salicornia-Öl kann aber nicht nur als Lebensmittel eingesetzt werden: in einem joint-venture mit dem amerikanischen Flugzeugbauer Boeing wird am ICBA darüberhinaus getestet, ob sich aus der Ölsaat noch Biodiesel, bzw. Kerosin gewinnen lässt, um es als Flugzeugtreibstoff einzusetzen.


Kamelfutter

Die Quellerpflanzen können alternativ aber auch als Ganzes zur Fütterung von Haustieren, z.B. Kamelen verwendet werden. Hierzu muss aber das während der Wachstumsphase angereicherte Salz (bis zu 40 % der Biomasse!) vorher aus der Pflanze entfernt werden. Dazu reicht es, den geernteten Seespargel einige Zeit in Meerwasser einzulegen und dann die Pflanzen auszupressen. Die so behandelten Queller weisen dann nur noch einen Salzgehalt von 10-11 % auf und können an die Tiere verfüttert werden.


Projekt “Aquacombine”

Das Forschungsprojekt “Aquacombine” umfasst ein Konsortium von 17 Projektpartnern aus ganz Europa, darunter Universitäten, Institute, Prüf-Labore und private Firmen aus dem Agrar- und Aquakultursektor. Das von der EU geförderte Forschungsvorhaben war im Oktober 2019 gestartet und ist auf 4 Jahre angelegt. Deutsche Mitglieder des Konsortiums sind die Universität Hannover und die Hochschulen Flensburg und Bremerhaven.

Auch dieses Projekt widmet sich der Problematik des fortschreitenden Verlusts von nutzbarem Ackerland aufgrund der rapide zumehmenden Versalzung der Böden. So sind alleine in der EU 6,7 Millionen Hektar Landfläche von Salz beeinflusst und 72 Millionen Hektar von der Sodifizierung betroffen, d.h. einer Anreicherung von Kochsalz (“sodic soils“). Das entspricht der doppelten Landfläche Deutschlands! Das Phänomen betrifft v.a. die Küstenregionen Südeuropas, wo mit salzhaltigem Wasser die Felder bewirtschaftet werden, was langfristig zu einer Aufsalzung der Böden führt. Da die meisten Agrarpflanzen jedoch wenig salztolerant sind, werden jedes Jahr gigantische Flächen für eine weitere landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar. Das U.S.-Agrarministerium schätzt, dass weltweit jährlich 10 Millionen Hektar fruchtbares Land aufgrund der Versalzung verloren gehen.

Um solche Böden weiter landwirtschaftlich nutzen zu können, müssen salztolerante Pflanzen – Halophyten – angebaut werden. In Europa finden sich geeignete, zum Teil auch schon erprobte Kandidaten: die Strand-Aster (Aster tripolium), der Meer-Fenchel (Crithmum maritimum) und eben auch der Queller (Salicornia europaea und S. bigelovii). All diese Pflanzen werden traditionell seit Jahrhunderten an den europäischen Küsten gesammelt und für die menschliche Ernährung genutzt.

Einen grossen Nachteil haben die genannten Pflanzen bei einer kommerziellen Nutzung jedoch: es fällt ein hoher Anteil nicht verwendbaren Pflanzenmaterials an. So kann über die gesamte Vegetationsphase des Quellers nur etwa 1 / 3 der Biomasse für die menschliche Ernährung genutzt werden. Die restlichen 2 / 3 bestehen v.a. aus dem verholzten Pflanzenstängel des Meeresspargels, der wegen seiner Salzeinlagerungen weder als Tierfutter noch zur Bodendüngung eingesetzt werden kann. Genau hier setzt das Aquacombine-Projekt an.

Wirtschaftliche Nutzung des Quellers (Abbildung: Aquacombine.eu)

In dem Forschungsvorhaben soll einerseits grundlegend untersucht werden, wie Halophyten am effektivsten eingesetzt werden können, um versalzte Böden weiterhin zu nutzen, bzw. mittelfristig sogar zu entsalzen. Eine solche landwirtschaftliche Nutzung bietet eine Chance vor allem für abgelegene, wenig erschlossene Regionen der Erde, die mit der beschriebenen Salzproblematik zu kämpfen haben. Der Anbau dieser Pflanzen erzeugt vor Ort Erträge, Jobs und damit eine Entwicklungsperspektive für die unwirtlichen Salzwüsten.

Ein weiteres Arbeitsfeld ist die Nutzung, v.a. des Quellers, in Kombination mit Aquakultur-Einrichtungen, zum Beispiel Fischfarmen oder Shrimp-Teichen. Bei diesem System nutzen die Pflanzen generell die Abwässer der Fischproduktion als Dünger, reinigen zugleich das Abwasser und liefern am Ende auch noch einen zusätzlichen Flächenertrag auf der jeweiligen Farm. (Das Grundprinzip wird ausführlich auf der Unterseite Aquaponik beschrieben.)

Einer der wichtigsten Aspekte des Projekts ist aber die sinnvolle Nutzung der Rückstände der Pflanzen, die nicht unmittelbar zum Essen genutzt werden können. Wie in der Abbildung dargestellt, kann beim Queller insgesamt nur 1 / 3 der produzierten Biomasse am Anfang der Vegetationsperiode als frische Sprosse gegessen werden. Später im Jahresverlauf beginnt die Pflanze zu verholzen und eignet sich dann nicht mehr als Gemüse. Trotzdem ist die Pflanze immer noch randvoll gepackt mit wertvollen, sogenannten “sekundären Pflanzenstoffen“. Dies sind beispielsweise verschiedene Zuckerverbindungen und Aminosäuren, aber auch Antioxidantien wie Polyphenole, ß-Carotin und Ascorbinsäure, besser bekannt als Vitamin C. Alles Substanzen, die viel zu schade sind, einfach weggeworfen zu werden.

Verholzte Queller-Stängel zur Untersuchung im Labor (Foto: aquacombine.eu)

Die beteiligten Forschungsinstitute und -Labore prüfen derzeit, wie diese Substanzen aus den Ernte-“Abfällen” extrahiert und nachfolgend genutzt werden können. Denkbare Anwendungsbereiche für die extrahierten Rohstoffe liegen in der Herstellung von Fischfutter, als Medizin oder als Nahrungsergänzungsmittel (= functional food) für den Verbraucher. Die zuguterletzt übrig gebliebenen holzigen Pflanzenfasern des Seespargels können abschliessend sogar noch in Biogasanlagen verstromt werden. Der dabei anfallende Gärschlamm ist reich an Phosphaten und kann zuguterletzt als Dünger auf den Feldern ausgebracht werden.

Das alles im Sinne einer kreislaufgeführten Agrarwirtschaft mit einer grösstmöglichen Verwertung und Rückführung von Roh- und Abfallstoffen.